Ein Bericht über das Projekt
„Wahrnehmungsübungen zum Kirchenraum für Kinder im Elementarbereich“

„Dieses Projekt können wir gleich in der Praxis anwenden und es hat Spaß gemacht!“, „Ich habe viel gelernt.“ und „Noch nie habe ich mich in einer Kirche freier gefühlt!“ sind einige der zufriedenen Zitate aus dem Feedback der FS SOZ 19 b, im ersten Ausbildungsjahr für Erzieher*innen, am BBZ Bad Segeberg.
Die Klasse FS SOZ 19 b hatte sich im Januar durch den Bericht einer Kita in Apen/Niedersachsen dazu anregen lassen, Wahrnehmungsübungen für Elementarkinder in den Räumen der Marienkirche in Bad Segeberg, der Stadt unseres Schulstandortes, zu gestalten.
Die Intention eines solchen Projektes ist, Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren mit dem Kirchenraum vertraut zu machen oder ihnen neue Aspekte des Gebäudes zu erschließen, wenn sie es bereits kennen. Dieses „Entdecken“ geschieht über eine Aktivierung der verschiedenen Sinne, um die Umgebung vielfältig wahrzunehmen. Es hat keinen belehrenden Charakter.

Zunächst galt es für uns selbst die Marienkirche in Bad Segeberg zu erkunden, einige Schüler*innen aus der Klasse und ich kommen aus Gemeinden aus dem Umland, andere sind gänzlich kirchenfremd. So begann ein erstes, ganz persönliches Experiment.
Die Marienkirche ist den Vormittag über für alle Besucher*innen geöffnet, wenn keine Trauungen oder andere Gottesdienste stattfinden. Schnell hatte uns das Kirchenbüro zwei freie Stunden im Gebäude reserviert und los ging es. Die Offenheit der Einrichtung konnten wir gleich nach dem Eintritt ins Kirchenschiff wahrnehmen, denn in den hinteren Bankreihen schlief ein Mann und schnarchte vernehmlich. Offensichtlich war hier sein einziges Zuhause, an dem er sich hat ausruhen können.
Mit Hilfe eines kleinen schriftlichen Kirchenführers hat die Klasse FS SOZ 19 b dann den Raum erkundet. Die Marienkirche ist eine knapp 850 Jahre alte Basilika. Das Inventar gleicht zunächst  der funktionsgebundenen  religiösen  Einrichtung anderer Kirchen, mit Taufbecken und Altar, Kanzel und Kruzifix. Aber sie alle erzählen hier natürlich Bad Segeberger Geschichte und zeigen Kunst und Kultur aus unserer Region. Irritation entstand durch die Grabplatten im Boden. Liegt noch jemand darunter? Dürfen wir darüber laufen?
Nach einem gemeinsamen Rundgang hat jede*r sich einen eigenen schönen Platz im Kirchenschiff gesucht. Es galt zwei Minuten innezuhalten und dann einmal bewusst den selbstgewählten Ort wahrzunehmen. Was sehe ich von meinem Platz aus? Was fühle ich? Holz, Stein, Marmor? Ist es warm oder kalt? Was höre ich? Rieche ich etwas? Wer mochte, konnte Begriffe suchen, die zu dem Erlebten passen, und sie für sich notieren.
In fünf Gruppen aufgeteilt wählte die Klasse dann je einen „Gegenstand“ der Einrichtung, der kindliches Interesse erwecken könnte. Für die Ausarbeitung der spezifischen Wahrnehmungsübungen nutzten wir zwei weitere Schulstunden.
In dieser Phase bekamen wir enorme Unterstützung durch die Gemeinde der Marienkirche. Schüler*innen, die sich um die Orgel kümmern wollten, verabredeten sich zu einem zusätzlichen Treffen mit dem Kirchenmusiker. Bei einer weiteren Begegnung im Kirchengebäude schloss uns der Küster die Kanzel und die Johanneskapelle auf. Er erklärte uns den vierteiligen, geschnitzten Altar und öffnete sogar die Doppelklappen der äußeren Flügel. Im großen Stil bewegt werden die hohen schweren Holztüren sonst nur zu Beginn der Passionszeit und in der Osternacht. Natürlich weiß der Küster auch, wie es unter den Grabplatten im Boden aussieht…

Ende Februar war die Klasse dann soweit, dass wir die Übungen miteinander ausprobieren konnten. Ich selbst durfte auf der Orgelempore beginnen. Wie überrascht war ich, zu hören, die große Orgel müsse zum Spielen Luft holen wie wir Menschen beim Singen! „Die Nase“, der holzverkleidete Luftschacht, hat mich neugierig gemacht. Anschließend vorsichtig einen Ton auf der mehrstufigen Tastatur anschlagen zu dürfen, war ein geradezu erhabenes Gefühl.
Danach habe ich in dem großen goldgeschnitzten „Wimmelbild“ des Altars die Tiere gesucht. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade im Bad Segeberger Altarbild so viele Pferde zu finden sind?
Zum Taufbecken durften wir frei assoziieren: „Großer Suppentopf“ oder „Kessel Zaubertrank aus Asterix und Obelix“. Tatsächlich ist das Becken aus einer umgedrehten Glocke gearbeitet.
Und wie viele Kinder müssten sich akrobatisch aufeinander stellen, um den großen Kronleuchter im Mittelgang zu erreichen? Körperlängen und Leuchterhöhe konnten mit Zollstock vermessen werden. In der Johanneskappelle klebten wir aus Transparentpapier eigene „Buntglasfenster“.
Zum Schluss habe ich die Kanzel erklommen. Und Achtung: Die Balustrade besteht aus scharfkantigem Holz!  Ich schrieb meinen Namen auf einen Papierflieger, der mir zeigen sollte, bis in welche Bankreihe er segeln kann. Da erlangt plötzlich von der gegenüberliegenden Orgelempore her Beethovens Ballade für Elise, gefolgt von der Filmmusik des französischen Klassikers Die fabelhafte Welt der Amélie. Zwei bisher unentdeckte Talente in der Klasse haben für eine Weile den Kirchenraum – und uns in ihm – verzaubert. Und da fühlte man sich – ganz schön frei!

Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass wir selbstverständlich zu jeder Zeit der Kirche als Gottesdienstraum und dem Inventar unseren Respekt gezollt haben. Außerdem hatten wir verabredet,  dass, wer möchte, die Gelegenheit hat, an ihrem/seinen „schönen Ort“ für sich ein stilles Gebet zu sprechen, bevor die Aktionen begannen.
In ihrem ersten Praktikum wird die Klasse die Gelegenheit haben, das Projekt mit Kindern auszuprobieren und sich von ihnen neu inspirieren zu lassen.

Unser besonderer Dank für die Unterstützung in der Gemeinde der Marienkirche Bad Segeberg gilt Frau Bogat und Frau Söht im Kirchenbüro, dem Kirchenmusiker Herrn Maurer-Büntjen und dem Küster Herrn Teegen. Ohne Sie wäre unser Projekt nicht möglich gewesen!
Wir danken auch für das Foto, das uns die Gemeinde freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Bettina Marschall